Warum ich Momente der Stille im Training liebe
Aktualisiert: 17. Okt.
Ich liebe sie! Ich liebe die Momente im Training oder Workshop wenn Stille herrscht und keine:r was sagt! Diese Momente entstehen aus unterschiedlichen Gründen und ich liebe sie aus genau so vielen.
War das schon immer so? Oh hell no! Zu Beginn meiner Trainerlaufbahn habe ich sie gehasst! Ich habe sie ja nicht bewusst herbeigeführt oder mit ihnen gerechnet.
Sie waren plötzlich da! Ein ganzer Raum voll "awkward silence" und ich konnte sie ganz, ganz schwer aushalten. Ich habe mich immer gefragt, ob ich was falsch gemacht habe.
War die Frage zu schwer? Oder zu leicht ? Vielleicht wurde nicht klar was ich meine? Vielleicht hatte grad gar niemand einen Aha-Moment oder eine Erkenntnis die er/sie teilen wollte? What now?
Aus Verlegenheit habe ich die Stille meist ganz schnell selbst beendet. Ich habe Fragen hinterhergeschoben, ungefragt nochmal von vorne erklärt, kurz gesagt: Ich habe geplappert um die Stille zu brechen, weil ich noch nicht verstanden habe wie wertvoll sie ist!
Wie oft ich damit wertvolle Gedankengänge unterbrochen habe? Wie oft ich eine Frage verhindert habe, die gerade noch in Worte gepackt werden musste? Wie oft ich eine Erkenntnis die gerade aufblitzte und eingeordnet werden wollte wieder verscheucht habe? Sicher unzählige Male leider.
Denn genau diese schönen Dinge passieren, wenn es leise ist und der Raum angefüllt ist mit "awesome silence"!
In manchen stillen Momenten darf eine Erkenntnis wirken. In anderen wird eine völlig neue Information verdaut und im Hirn mit all dem verknüpft, was schon da ist, was möglicherweise plötzlich Sinn ergibt oder einen Widerspruch aufzeigt, der genauer unter die Lupe genommen werden muss. Herrlich, oder?
Die stillen Momente sind oft die Momente in denen eine Frage einen Gedankengang zum Vorschein bringt, der vorher noch nicht entdeckt wurde. Im Coaching ist er für mich das Signal, dass wir etwas auf der Spur sind.
Kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, dann wurde der Gedanke vermutlich auch schon oft gedacht. Er ist nicht neu und birgt keine zusätzliche Information, die uns der Lösung näher bringt. Er ist wie ein gut ausgebauter Stollen im Berg, abgestützt mit Balken, Lampen an den Wänden.
Ist es nach der Frage aber erstmal still, haben wir vermutlich einen neuen Gang entdeckt und es lohnt sich in den allermeisten Fällen da mal ein Stück rein zu laufen, alles mit der Taschenlampe auszuleuchten und genau zu prüfen, was da drin jetzt möglich wird.
Ich gebe gern auch bewusst stille Momente um anzukommen. Gerade bei virtuellen Formaten und gerade wenn sie mitten im operativen Tagesgeschäft eingebettet sind. Wen das genauer interessiert, bitte hier weiterlesen: A minute to arrive! - Warum ich meine Trainings inzwischen fast immer damit beginne
Was ich noch wichtig finde:
Ob die Teilnehmer:innen die stille "awkward" oder "awesome" finden kann ich ihnen zwar nicht vorgeben (auch nicht, wenn ich es explizit sage), aber sie werden sich an meiner Haltung zur Stille orientieren und somit kann ich eben doch beeinflussen, wie die Stille ankommt.
Reagiere ich selbst verlegen in meiner Körpersprache oder gar verbal ("Oje, da hat wohl keiner eine Frage..."), wird spätestens jetzt die Stile für alle unangenehm.
Stehe ich aber in entspannter Präsenz da und signalisiere, dass das völlig ok ist, wird möglicherweise der ein oder andere, der sich eben noch unwohl fühlen verstehen, dass das gewollt und völlig ok ist und sich einfach mal überraschen lassen was da jetzt so kommt...als nächster Schritt oder aus dem eigenen Gedankenstrom.
Damit mir diese entspannte Präsenz gut gelingt habe ich mir zwei Tricks angewöhnt:
Bei Momenten der Stille, die ich bewusst herbei geführt habe, halte ich einen kleinen Monolog in meinem Kopf, der oft etwa so geht: "Tief einatmen, langsam ausatmen. Wie herrlich! Da darf jetzt erstmal sacken. Schau mal in die Runde, ganz entspannt und langsam. Das ist genau so wie es sein soll. Still. Lass sie denken. Lass sie fühlen. Freu dich auf die Fragen und Erkenntnisse, die da kommen. Was macht die Frage eigentlich gerade mit dir?..."
Bei Momenten der Stille, die entstehen, ohne, dass ich das beabsichtigt habe (z.B. oft wenn ich eine offene Frage stelle und keine:r so richtig anfangen möchte) zähle ich im Kopf langsam (!) bis 10 und schaue einfach entspannt von einem zum anderen.
Und zu guter Letzt:
Natürlich ist es auch wichtig, die Stille irgendwann zu brechen. Ich achte darauf, dass ich das immer mit einer postitiven Formulierung tue.
Do:
"Dann kommen wir zu unserem nächsten Punkt und können gern später nochmal darauf zurück kommen."
Don't:
"Dann eben nicht! Machen wir eben weiter!"
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